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Unwillkürlich streckte Fridolin die Hand aus, um den
Kopf zurechtzurücken, doch mit einer Scheu, die ihm,
dem Arzt, sonst fremd war, zögerte er wieder. Doktor
Adler war herzugetreten und bemerkte hinter sich deutend:
»Kommen alle nicht in Betracht   also die?« Und er
leuchtete mit der elektrischen Lampe auf den Frauenkopf,
den Fridolin eben, seine Scheu überwindend, mit beiden
Händen gefaßt und ein wenig emporgehoben hatte. Ein
weißes Antlitz mit halbgeschlossenen Lidern starrte ihm
entgegen. Der Unterkiefer hing schlaff herab, die schmale,
hinaufgezogene Oberlippe ließ das bläuliche Zahnfleisch
und eine Reihe weißer Zähne sehen. Ob dieses Antlitz
irgendeinmal, ob es vielleicht gestern noch schön gewesen
 Fridolin hätte es nicht zu sagen vermocht  , es war ein
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völlig nichtiges, leeres, es war ein totes Antlitz. Es konnte
ebensogut einer Achtzehnjährigen als einer
Achtunddreißigjährigen angehören.
»Ist sie s?« fragte Doktor Adler.
Fridolin beugte sich unwillkürlich tiefer herab, als
könnte sein bohrender Blick den starren Zügen eine
Antwort entreißen. Und er wußte doch zugleich, auch
wenn es wirklich ihr Antlitz wäre, ihre Augen, dieselben
Augen, die gestern so lebensheiß in die seinen geleuchtet,
er wüßte es nicht, könnte es  wollte es am Ende gar nicht
wissen. Und sanft legte er den Kopf wieder auf die Platte
hin und ließ seinen Blick den toten Körper entlang
schweifen, vom wandernden Schein der elektrischen
Lampe geleitet. War es ihr Leib?  der wunderbare,
blühende, gestern noch so qualvoll ersehnte? Er sah einen
gelblichen, faltigen Hals, er sah zwei kleine und doch
etwas schlaff gewordene Mädchenbrüste, zwischen denen,
als wäre das Werk der Verwesung schon vorgebildet, das
Brustbein mit grausamer Deutlichkeit sich unter der
bleichen Haut abzeichnete, er sah die Rundung des
mattbraunen Unterleibs, er sah, wie von einem dunklen,
nun geheimnis- und sinnlos gewordenen Schatten aus
wohlgeformte Schenkel sich gleichgültig öffneten, sah die
leise auswärts gedrehten Kniewölbungen, die scharfen
Kanten der Schienbeine und die schlanken Füße mit den
einwärts gekrümmten Zehen. All dies versank
nacheinander rasch wieder im Dunkel, da der Lichtkegel
der elektrischen Lampe den Weg zurück mit vielfacher
Geschwindigkeit zurücklegte, bis er endlich leicht zitternd
über dem bleichen Antlitz ruhen blieb. Unwillkürlich, ja
wie von einer unsichtbaren Macht gezwungen und geführt,
berührte Fridolin mit beiden Händen die Stirne, die
Wangen, die Schultern, die Arme der toten Frau; dann
schlang er seine Finger wie zu einem Liebesspiel in die
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der Toten, und so starr sie waren, es schien ihm, als
versuchten sie sich zu regen, die seinen zu ergreifen; ja
ihm war, als irrte unter den halbgeschlossenen Lidern ein
ferner, farbloser Blick nach dem seinen; und wie magisch
angezogen beugte er sich herab.
Da flüsterte es plötzlich hinter ihm: »Aber was treibst du
denn?«
Fridolin kam jählings zur Besinnung. Er löste seine
Finger aus denen der Toten, umklammerte ihre schmalen
Handgelenke und legte sorglich, ja mit einer gewissen
Pedanterie die eiskalten Arme zu selten des Rumpfes hin.
Und ihm war, als ob jetzt, eben erst in diesem Augenblick,
dieses Weib gestorben sei. Dann wandte er sich ab, lenkte
die Schritte zur Türe und über den hallenden Gang, trat in
das Arbeitskabinett zurück, das man früher verlassen.
Doktor Adler folgte ihm schweigend und schloß hinter
ihnen ab.
Fridolin trat ans Waschbecken. »Du erlaubst«, sagte er
und reinigte seine Hände sorgfältig mit Lysol und Seife.
Indes schien Doktor Adler ohne weiteres seine
unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen zu wollen. Er
hatte die entsprechende Lichtvorrichtung neu
eingeschaltet, drehte die Mikrometerschraube und blickte
ins Mikroskop. Als Fridolin zu ihm trat, um sich zu
verabschieden, war Doktor Adler völlig in seine Arbeit
vertieft.
»Willst du dir das Präparat einmal anschauen?« fragte er.
»Warum?« fragte Fridolin abwesend.
»Nun, zur Beruhigung deines Gewissens«, erwiderte
Doktor Adler  als nähme er doch an, daß Fridolins
Besuch nur einen medizinisch-wissenschaftlichen Zweck
gehabt hätte.
»Findest du dich zurecht?« fragte er, während Fridolin
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ins Mikroskop schaute. »Es ist nämlich eine ziemlich neue
Färbungsmethode.«
Fridolin nickte, ohne das Auge vom Glas zu entfernen.
»Geradezu ideal«, bemerkte er, »ein farbenprächtiges
Bild, könnte man sagen.«
Und er erkundigte sich nach verschiedenen Einzelheiten
der neuen Technik.
Doktor Adler gab ihm die gewünschten Aufklärungen,
und Fridolin äußerte die Ansicht, daß ihm diese neue
Methode bei einer Arbeit, die er für die nächste Zeit
vorhabe, voraussichtlich gute Dienste leisten würde. Er
erbat sich die Erlaubnis, morgen oder übermorgen
wiederkommen zu dürfen, um sich weitere Aufschlüsse zu
holen.
»Stets gerne zu Diensten«, sagte Doktor Adler,
begleitete Fridolin über die hallenden Steinfliesen bis zum
Tore, das indessen geschlossen worden war, und sperrte es
mit seinem eigenen Schlüssel auf.
»Du bleibst noch?« fragte Fridolin.
»Aber natürlich«, erwiderte Doktor Adler, »das sind ja
die allerschönsten Arbeitsstunden  so von Mitternacht bis
früh. Da ist man wenigstens vor Störungen ziemlich
sicher.«
»Na  «, sagte Fridolin mit einem leisen, wie
schuldbewußten Lächeln.
Doktor Adler legte die Hand beruhigend auf Fridolins
Arm, dann fragte er mit einiger Zurückhaltung: »Also 
war sie s?«
Fridolin zögerte einen Augenblick, dann nickte er
wortlos, und war sich kaum bewußt, daß diese Bejahung
möglicherweise eine Unwahrheit bedeutete. Denn ob die
Frau, die nun da drin in der Totenkammer lag, dieselbe
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war, die er vor vierundzwanzig Stunden zu den wilden
Klängen von Nachtigalls Klavierspiel nackt in den Armen
gehalten, oder ob diese Tote irgendeine andere, eine
Unbekannte, eine ganz Fremde war, der er niemals vorher
begegnet; er wußte: auch wenn das Weib noch am Leben
war, das er gesucht, das er verlangt, das er eine Stunde
lang vielleicht geliebt hatte, und, wie immer sie dieses [ Pobierz całość w formacie PDF ]
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