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Bewohnern von Hagsgate so seltsam war. Jeder von ihnen war gut und warm
gekleidet, doch die Gesichter, die aus diesen feinen Kleidern schauten, waren die
Gesichter von armen Leuten, gespensterbleich und ausgehungert. Drinn sagte: »Nur
einem aus Hagsgate wird es gelingen, das Schloß zu zerstören, zum Einsturz zu
bringen. Wie können wir unser Glück genießen, wo wir doch wissen, daß es enden
muß, daß einer von uns es beenden wird! Jeder Tag macht uns reicher - und bringt
uns dem Untergang einen Tag näher. Zauberer, fünfzig Jahre lang haben wir
bescheiden und genügsam gelebt, haben uns von allen lieben Gewohnheiten
freigemacht, alle Laster gemieden, haben uns für die Flut vorbereitet. Nicht einen
Augenblick freuten wir uns an unserem Reichtum oder an irgendetwas anderem,
denn Freude ist nichts als eine weitere Bürde, der man eines Tages entsagen muß.
Habt Mitleid mit Hagsgate, Fremde, denn auf der ganzen elenden Welt kann es keine
unglücklichere Stadt geben!«
»Verloren, verloren, verloren«, wimmerten die Hagsgater. »Elend über Elend!«
Molly Grue sah ihnen zu, ohne etwas zu sagen; Schmendrick aber sagte respektvoll:
»Ein erstklassiger Fluch, die Arbeit eines Fachmanns! Meine Rede ist: Was auch
immer du zu erledigen hast, geh zum Spezialisten! Auf die Dauer lohnt es sich! «
Drinn runzelte die Stirn, Molly stieß Schmendrick unterm Tisch an. Der Zauberer
blinzelte. »Oh! Und was wünscht ihr nun von mir? Ich warne euch, ich bin kein sehr
großer Zauberer, aber wenn ich es kann, werde ich den Fluch gern von euch
nehmen.«
»Ich überschätze dich gewiß nicht«, antwortete Drinn, »aber so, wie du bist, taugst
du so viel wie jeder andere. Den Fluch lassen wir auf sich beruhen. Wird er von uns
genommen, so werden wir wohl nicht wieder arm wie zuvor, doch unser Reichtum
wird nicht mehr zunehmen
- und das wäre genau so schlimm. Nein, unsere wirkliche Aufgabe besteht darin,
Haggards Festung vor dem Fall zu bewahren, und da der Held, der sie zerstören soll,
nur aus Hagsgate kommen kann, sollte das wohl möglich sein. Zum einen gestatten
wir es keinem Fremden, sich hier anzusiedeln. Wir halten jeden fern, mit Gewalt,
wenn es sein muß, aber meistens mit List. Jene dunklen Geschichten über Hagsgate,
die du erwähnt hast - die haben wir selber erfunden und in Umlauf gesetzt, so weit
wir nur konnten, um Besucher fernzuhalten.« Er lachte stolz, wodurch er noch
hohlwangiger aussah.
Schmendrick stützte das Kinn auf die Fingerknöchel und sah Drinn mit einem
versiegenden Lächeln an. »Wie ist das mit euren eigenen Kindern?«, fragte er. »Wie
könnt ihr verhindern, daß eines von ihnen heranwächst und den Fluch erfüllt?« Er
schaute sich in der Gaststube um, betrachtete schläfrig jedes einzelne der faltigen
Gesichter, die ihn ansahen. »Mir fällt auf, daß es in eurer Stadt keine Kinder zu
geben scheint. Um welche Zeit schickt man sie denn in Hagsgate zu Bett?«
Niemand antwortete ihm. Molly hörte, wie ihnen das Blut in Ohren und Augen
rauschte, sah, daß ihre Haut sich kräuselte wie Wasser unterm Wind. Endlich sagte
Drinn: »Wir haben keine Kinder. Seit dem Tag, als der Fluch uns traf, haben wir
keine mehr bekommen.« Er hustete in seine Faust und fuhr fort: »Das schien der
einfachste Weg zu sein, den Plan der Hexe zu durchkreuzen.«
Schmendrick warf den Kopf zurück und lachte lautlos, lachte, bis die Fackeln noch
stärker tanzten. Molly merkte, daß er betrunken war. Drinn biß sich auf die Lippen;
seine Augen wurden hart wie gesprungenes Porzellan. »Ich sehe nichts an unserem
traurigen Los, worüber man lachen könnte«, sagte er sanft, »nicht das
Allergeringste!«
»Nichts«, gurgelte Schmendrick und beugte sich über den Tisch, wobei er seinen
Wein verschüttete, »nichts, Verzeihung, nichts, gar nichts.« Unter den zornigen
Blicken aus zweihundert Augen gelang es ihm, die Fassung wiederzugewinnen und
Drinn ernsthaft zu antworten: »Mir scheint, ihr habt also gar keine Sorgen, jedenfalls
keine großen Sorgen.« Ein Gelächterchen entschlüpfte seinen Lippen, wie Dampf
einem Teekessel.
»So mag es scheinen.« Drinn beugte sich vor und berührte mit zwei Fingern
Schmendricks Handgelenk. »Doch habe ich dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Vor
einundzwanzig Jahren wurde in Hagsgate ein Kind geboren. Wir fanden nie heraus,
wessen Kind es war. Ich selbst habe es gefunden, als ich in einer Winternacht über
den Marktplatz ging. Es lag auf einem Fleischerblock; obgleich Schnee fiel, weinte
es nicht, denn es lag behaglich und geborgen unter einer Decke aus herrenlosen
Katzen. Die Tiere schnurrten alle miteinander, eine Musik, die schwer von Wissen
und Bedeutung war. Lange bin ich an dieser seltsamen Wiege gestanden und habe
gegrübelt, während der Schnee fiel und die Katzen Weissagungen spannen.«
Er hielt inne, und Molly Grue sagte eifrig: »Du hast das Kind natürlich mit nach
Hause genommen und es als dein eigenes aufgezogen?« Drinn legte seine Hände
flach auf den Tisch.
»Ich verjagte die Katzen«, sagte er, »und ging allein nach Hause.« Mollys Gesicht
verfinsterte sich. Drinn zuckte leicht die Achseln. »Ich erkenne eine Heldengeburt,
wenn ich sie sehe«, sagte er. »Omen und Wunder, Schlangen an der Wiege. Wären
die Katzen nicht gewesen, hätte ich das Kind vielleicht gerettet, doch sie haben das
Ganze so offensichtlich gemacht, so mythologisch. Was hätte ich denn tun sollen?
Etwa wissentlich Hagsgates Verderben in mein Haus aufnehmen?« Seine Lippen
zuckten, als bohre sich ein Haken in sie. »Zufälligerweise habe ich falsch gehandelt,
aber wie sich bald herausstellen sollte, gereichte es dem Kind zum Vorteil. Als ich
bei Sonnenaufgang zurückkam, war das Kind verschwunden.«
Schmendrick malte Bildchen aus dem verschütteten Wein und erweckte den
Eindruck, als hätte er gar nicht zugehört. Drinn sprach weiter. »Verständlicherweise
gab niemand zu, das Kind auf dem Marktplatz ausgesetzt zu haben, und obwohl wir
jedes Haus vom Keller bis zum Taubenschlag durchsuchten, fanden wir es nicht
wieder. Ich wäre zu dem Schluß gekommen, Wölfe hätten den Balg geholt, oder
sogar, ich hätte die ganze Begebenheit geträumt, die Katzen und alles andere, wenn
nicht am nächsten Tag ein Herold König Haggards in die Stadt geritten wäre und uns
Befehl zum Jubeln gegeben hätte. Nach dreißigjährigem Warten hatte der König
endlich einen Sohn. « Er wich geflissentlich Mollys Blick aus. »Unser Findling war
ein Junge.«
Schrnendrick leckte seine Fingerspitze ab und sah auf. »Lir«, sagte er nachdenklich,
»Prinz Lir. Aber gibt es für sein Erscheinen keine andere Erklärung?«
»Wohl kaum!« schnaubte Drinn. »Die Frau, die Haggard heiraten wollte, würde
sogar er verschmähen. Er ließ verkünden, der Knabe sei sein Neffe, den er nach dem
Tode seiner Eltern an Kindesstatt gütigst angenommen habe. Haggard hat keine
Verwandten, keine Familie. Es gibt Leute, die sagen, er sei einer Wolke entstiegen,
so wie Venus aus dem Meer geboren ward. Niemand würde Haggard ein Kind
anvertrauen.«
Der Zauberer streckte gelassen sein Glas vor und füllte es selbst, als Drinn dies
ablehnte. »Auf jeden Fall hat er seinen Sohn bekommen, herzlichen Glück-
wunsch. Wie aber soll er zu eurem Katzenkind gekommen sein?« [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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Bewohnern von Hagsgate so seltsam war. Jeder von ihnen war gut und warm
gekleidet, doch die Gesichter, die aus diesen feinen Kleidern schauten, waren die
Gesichter von armen Leuten, gespensterbleich und ausgehungert. Drinn sagte: »Nur
einem aus Hagsgate wird es gelingen, das Schloß zu zerstören, zum Einsturz zu
bringen. Wie können wir unser Glück genießen, wo wir doch wissen, daß es enden
muß, daß einer von uns es beenden wird! Jeder Tag macht uns reicher - und bringt
uns dem Untergang einen Tag näher. Zauberer, fünfzig Jahre lang haben wir
bescheiden und genügsam gelebt, haben uns von allen lieben Gewohnheiten
freigemacht, alle Laster gemieden, haben uns für die Flut vorbereitet. Nicht einen
Augenblick freuten wir uns an unserem Reichtum oder an irgendetwas anderem,
denn Freude ist nichts als eine weitere Bürde, der man eines Tages entsagen muß.
Habt Mitleid mit Hagsgate, Fremde, denn auf der ganzen elenden Welt kann es keine
unglücklichere Stadt geben!«
»Verloren, verloren, verloren«, wimmerten die Hagsgater. »Elend über Elend!«
Molly Grue sah ihnen zu, ohne etwas zu sagen; Schmendrick aber sagte respektvoll:
»Ein erstklassiger Fluch, die Arbeit eines Fachmanns! Meine Rede ist: Was auch
immer du zu erledigen hast, geh zum Spezialisten! Auf die Dauer lohnt es sich! «
Drinn runzelte die Stirn, Molly stieß Schmendrick unterm Tisch an. Der Zauberer
blinzelte. »Oh! Und was wünscht ihr nun von mir? Ich warne euch, ich bin kein sehr
großer Zauberer, aber wenn ich es kann, werde ich den Fluch gern von euch
nehmen.«
»Ich überschätze dich gewiß nicht«, antwortete Drinn, »aber so, wie du bist, taugst
du so viel wie jeder andere. Den Fluch lassen wir auf sich beruhen. Wird er von uns
genommen, so werden wir wohl nicht wieder arm wie zuvor, doch unser Reichtum
wird nicht mehr zunehmen
- und das wäre genau so schlimm. Nein, unsere wirkliche Aufgabe besteht darin,
Haggards Festung vor dem Fall zu bewahren, und da der Held, der sie zerstören soll,
nur aus Hagsgate kommen kann, sollte das wohl möglich sein. Zum einen gestatten
wir es keinem Fremden, sich hier anzusiedeln. Wir halten jeden fern, mit Gewalt,
wenn es sein muß, aber meistens mit List. Jene dunklen Geschichten über Hagsgate,
die du erwähnt hast - die haben wir selber erfunden und in Umlauf gesetzt, so weit
wir nur konnten, um Besucher fernzuhalten.« Er lachte stolz, wodurch er noch
hohlwangiger aussah.
Schmendrick stützte das Kinn auf die Fingerknöchel und sah Drinn mit einem
versiegenden Lächeln an. »Wie ist das mit euren eigenen Kindern?«, fragte er. »Wie
könnt ihr verhindern, daß eines von ihnen heranwächst und den Fluch erfüllt?« Er
schaute sich in der Gaststube um, betrachtete schläfrig jedes einzelne der faltigen
Gesichter, die ihn ansahen. »Mir fällt auf, daß es in eurer Stadt keine Kinder zu
geben scheint. Um welche Zeit schickt man sie denn in Hagsgate zu Bett?«
Niemand antwortete ihm. Molly hörte, wie ihnen das Blut in Ohren und Augen
rauschte, sah, daß ihre Haut sich kräuselte wie Wasser unterm Wind. Endlich sagte
Drinn: »Wir haben keine Kinder. Seit dem Tag, als der Fluch uns traf, haben wir
keine mehr bekommen.« Er hustete in seine Faust und fuhr fort: »Das schien der
einfachste Weg zu sein, den Plan der Hexe zu durchkreuzen.«
Schmendrick warf den Kopf zurück und lachte lautlos, lachte, bis die Fackeln noch
stärker tanzten. Molly merkte, daß er betrunken war. Drinn biß sich auf die Lippen;
seine Augen wurden hart wie gesprungenes Porzellan. »Ich sehe nichts an unserem
traurigen Los, worüber man lachen könnte«, sagte er sanft, »nicht das
Allergeringste!«
»Nichts«, gurgelte Schmendrick und beugte sich über den Tisch, wobei er seinen
Wein verschüttete, »nichts, Verzeihung, nichts, gar nichts.« Unter den zornigen
Blicken aus zweihundert Augen gelang es ihm, die Fassung wiederzugewinnen und
Drinn ernsthaft zu antworten: »Mir scheint, ihr habt also gar keine Sorgen, jedenfalls
keine großen Sorgen.« Ein Gelächterchen entschlüpfte seinen Lippen, wie Dampf
einem Teekessel.
»So mag es scheinen.« Drinn beugte sich vor und berührte mit zwei Fingern
Schmendricks Handgelenk. »Doch habe ich dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Vor
einundzwanzig Jahren wurde in Hagsgate ein Kind geboren. Wir fanden nie heraus,
wessen Kind es war. Ich selbst habe es gefunden, als ich in einer Winternacht über
den Marktplatz ging. Es lag auf einem Fleischerblock; obgleich Schnee fiel, weinte
es nicht, denn es lag behaglich und geborgen unter einer Decke aus herrenlosen
Katzen. Die Tiere schnurrten alle miteinander, eine Musik, die schwer von Wissen
und Bedeutung war. Lange bin ich an dieser seltsamen Wiege gestanden und habe
gegrübelt, während der Schnee fiel und die Katzen Weissagungen spannen.«
Er hielt inne, und Molly Grue sagte eifrig: »Du hast das Kind natürlich mit nach
Hause genommen und es als dein eigenes aufgezogen?« Drinn legte seine Hände
flach auf den Tisch.
»Ich verjagte die Katzen«, sagte er, »und ging allein nach Hause.« Mollys Gesicht
verfinsterte sich. Drinn zuckte leicht die Achseln. »Ich erkenne eine Heldengeburt,
wenn ich sie sehe«, sagte er. »Omen und Wunder, Schlangen an der Wiege. Wären
die Katzen nicht gewesen, hätte ich das Kind vielleicht gerettet, doch sie haben das
Ganze so offensichtlich gemacht, so mythologisch. Was hätte ich denn tun sollen?
Etwa wissentlich Hagsgates Verderben in mein Haus aufnehmen?« Seine Lippen
zuckten, als bohre sich ein Haken in sie. »Zufälligerweise habe ich falsch gehandelt,
aber wie sich bald herausstellen sollte, gereichte es dem Kind zum Vorteil. Als ich
bei Sonnenaufgang zurückkam, war das Kind verschwunden.«
Schmendrick malte Bildchen aus dem verschütteten Wein und erweckte den
Eindruck, als hätte er gar nicht zugehört. Drinn sprach weiter. »Verständlicherweise
gab niemand zu, das Kind auf dem Marktplatz ausgesetzt zu haben, und obwohl wir
jedes Haus vom Keller bis zum Taubenschlag durchsuchten, fanden wir es nicht
wieder. Ich wäre zu dem Schluß gekommen, Wölfe hätten den Balg geholt, oder
sogar, ich hätte die ganze Begebenheit geträumt, die Katzen und alles andere, wenn
nicht am nächsten Tag ein Herold König Haggards in die Stadt geritten wäre und uns
Befehl zum Jubeln gegeben hätte. Nach dreißigjährigem Warten hatte der König
endlich einen Sohn. « Er wich geflissentlich Mollys Blick aus. »Unser Findling war
ein Junge.«
Schrnendrick leckte seine Fingerspitze ab und sah auf. »Lir«, sagte er nachdenklich,
»Prinz Lir. Aber gibt es für sein Erscheinen keine andere Erklärung?«
»Wohl kaum!« schnaubte Drinn. »Die Frau, die Haggard heiraten wollte, würde
sogar er verschmähen. Er ließ verkünden, der Knabe sei sein Neffe, den er nach dem
Tode seiner Eltern an Kindesstatt gütigst angenommen habe. Haggard hat keine
Verwandten, keine Familie. Es gibt Leute, die sagen, er sei einer Wolke entstiegen,
so wie Venus aus dem Meer geboren ward. Niemand würde Haggard ein Kind
anvertrauen.«
Der Zauberer streckte gelassen sein Glas vor und füllte es selbst, als Drinn dies
ablehnte. »Auf jeden Fall hat er seinen Sohn bekommen, herzlichen Glück-
wunsch. Wie aber soll er zu eurem Katzenkind gekommen sein?« [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]